Der Blinde Schüler

Angestrengt konzentrierte ich mich auf einen Punkt vor mir in einem fuchshohen Gestrüpp. Leicht kniff ich meine beiden blauen Augen, mit den zwei unterschiedlichen Farbgebungen, zusammen. Plötzlich huschte etwas kleines hervor und überrascht, sowie erschrocken riss ich meine Augen weit auf. Noch im selben Moment versuchte ich wieder Beherrschung in meinen Körper zu bringen und löste die angespannte Haltung aus jenem. Wenige Schnurrhaare, unter einem grünen abstehenden Ästchens des blattreichen Gestrüpps, hatte sich das kleine Wesen versteckt. Dieser klare reine Geruch nach Frischbeute ließ das Wasser in meinem Maul zusammenfließen und es juckte mir in meinen Pfoten nicht sofort loszustürmen und die Maus zu erlegen.

» Denk daran, du musst zuerst deine Gesamte Spannung in deine Hinterläufe fließen lassen und den Schweif kurz über dem Boden ruhen lassen. Dies erfordert sehr viel Kraft, den je nachdem wie sich die Beute verhält musst du in dieser Haltung vielleicht sehr viele Augenblicke verharren. Überbrücke die Distanz erst, wenn sich die Beute in Sicherheit wähnt und schlage dann zu wie der Wind in der Blattleere, erbittert und ohne Scheu! «

Ich nickte als Zeichen des Verständnis auf die leisen Worte eines weisen Katers, welcher vor nun schon einigen Sonnenaufgängen und Sonnenuntergängen unter unseren Ahnen im SternenClan weilte. Flunkerhieb war ein Abbild eines Katers und doch zeigte sich schlussendlich das Alter an seinen ergrauten Haaren im Schnauzenbereich, dem verknoteten Pelz an seiner Flanke und den abgestumpften Krallen an seinen mächtig wirkenden Pfoten. Selbst jetzt noch trieb mir der Gedanke an ihn einen trüben Blick in meine Augen und der Schmerz reichte wie eine Klaue in mein Herz. Manchmal wünschte ich mir heimlich, er wäre mein Vater gewesen. Verächtlich dachte ich an meine Mutter, meine ach so liebende Mutter, die auf den Namen Mandelblüte hört. Als ich sie damals fragte, wer der Vater meines Bruders und mir sei, da hatte sie keine Antwort für mich und wenn ich sie heute noch fragen könnte, dann wäre mir die Antwort dennoch verwehrt. Frustriert schlug ich meine Krallen in den weichen grasigen Untergrund. Erschrocken horchte ich auf, als das kleine Wesen aufgeschreckt wieder in dem Gestrüpp verschwand. Ich war wie in einer Schockstarre gefangen.

» Lass niemals bei einem Kampf deine Gefühle die Oberhand gewinnen, niemals! «

Verstört schüttelte ich den Kopf, ich wollte diese Worte nicht mehr hören, egal wie sehr sie mir halfen. Erneut kämpfte ich mit dem Schmerz, welchen sie mit sich brachten. Diese ganze Weisheit, die Flunkerhieb mir übermittelt hat, hatte sich wie Feuer in mein Gedächtnis gebrannt. Ich liebte es seine Stimme in meinem Kopf zu hören, doch es schwank auch immer dann ein Hauch meiner verlorenen Gefühle mit. Jedes Mal aufs neue verlor ich die Maus kurz bevor ich sie hätte erlegen können, nur weil mich meine Gefühle von dem einen auf den anderen Moment überrumpelten. Niedergeschlagen ließ ich mich sinken und schloss meine Augen. Sofort überwog das Gefühl des Falles und als mir auf einmal die fehlende Präsenz meines Bruders bewusst wurde, ...

Nach Atem ringend wachte ich in dem weichen Nest der Kinderstube des WindClan Lagers auf. Sofort saß ich aufrecht und lauschte. In meinem Nacken stand mein Fell leicht ab und als mir dies bewusst wurde bemühte ich mich meinen rasenden Puls wieder zu beruhigen. Mit wenigen schnellen Zügen meiner Zunge hatte sich mein Fell wieder geglättet. Zufrieden stellte ich fest, dass Seelenjunges noch schlief, also musst ich diese Nacht nicht wild um mich geschlagen haben. Zufrieden schloss ich für einen Augenblick noch einmal meine Augen. Auf einmal hallte jedoch ein Ruf durch das gesamte Lager, welchen mich aufschrecken ließ.

» Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind, um selbst Beute zu machen, dazu auf, sich hier zu einem Clan-Treffen zu versammeln. «

Plötzlich ging alles ganz schnell, mein Bruder sprang auf, wie von einer Zecke gebissen und stürmte regelrecht aus dem Bau. Mit Amüsement beobachtete ich das ganze und ein Strahlen, welches er nie würde sehen können, trat in meine Augen. Augenblicklich folgte ich ihm aus dem geborgenen Bau in die frische des Morgens und für einen Moment schüttelte mich die Erkenntnis der noch fehlenden Wärme. Dann allerdings nahm ich eine fast schon stolze Haltung ein. Diese Versammlung könnte nur die Ernennung meiner Bruders und mir bedeuten. Ich freute mich ungemein, auch wenn ich wusste, wie schwer es für ihn werden würde sich anfangs zurecht zu finden und für mich, mich mit meinem Mentor zu verständigen, allerdings glaubte ich an Mondsterns Entscheidung. Beruhigend legte ich meinem Bruder den Schweif kurz auf seine Schulter, als dieser sich einer eiligen Wäsche unterzog und versuchte ihm zu übermitteln, wie gut er aussah und das er sich nicht bräuchte solche Sorgen zu machen. Mit einem kurzen Nachdruck zeigte ich ihm auch meine Freude - Endlich! Wir würden Krieger werden! Am liebsten hätte ich es laut in den Wald geschrieen oder wäre sofort los aus dem Clanlager ins Terran, allerdings verbot es mir mein Stolz irgendeine Art der Rührung dieser Seite zu offenbaren. Ich hatte in der Vergangenheit schon genug für Wirbel gesorgt und es war mich immer noch unangenehm, wenn ich daran dachte, was man hatte auf sich nehmen müssen, nur um dann festzustellen, dass das Schicksal keine Wende nehmen würde. Einen Augenblick lang verschwand die Freude aus meinen Augen und die Trauer kehrte zurück, doch so schnell wie dieser Anflug erschienen war, war er auch schon wieder verschwunden. Ordentlich legte ich meinen Schweif mit der schwarzen Spitze über meine beiden von schwarzen Tatzen besetzten weißen langen Beine. Mein Blick war hoch zu Mondstern gerichtet, als sie mit der Ernennung begann. Überraschenderweise fing sie mit mir an und so erhob ich mich auch gleich wieder und trat einen Schritt vor.

» Von diesem Tag an, bis diese Schülerin sich ihren Kriegernamen verdient hat, wird sie Flüsterpfote heißen. «

Respektvoll neigte ich meinen Kopf und hörte mit gespitzten Ohren weiter zu. Wer wohl mein Mentor wird?

» Apfelblüte, du bist nun bereit einen Schüler auszubilden. ... «

Ich konnte es nicht fassen, Apfelblüte sollte mich trainieren?! Niedergeschlagen schloss ich meine Augen und blickte erst auf, als ich mir meiner sicher war. Selbstbewusst hob ich mein Kinn und blickte meiner zukünftigen Mentorin entgegen, die allerdings den Blick abwannt, als sie dem meinem versuchte zu entgehen. Sofort spannten sich meine Muskeln an. Ich hatte damit gerechnet, dass sie mir Missgunst entgegen bringen würde, doch das sie mir so offen vor allen diese Gefühle zeigte war erniedrigend. Meine Pfoten verharrten an Ort und Stelle. Dieses Mal würde ich nicht auf sie zugehen, ich tat es einmal und sie hat diese Chance mir zu verzeihen, wo es eigentlich nichts zu verzeihen gab, verspielt. Es schienen einige Momente zu Vergehen, ehe sie ein paar Schritte auf mich zu kam, immer noch den Blick abgewannt.

» Nur damit du es weist, bei mir wirst du die Hölle erleben. «

Es war eigentlich nur ein Hauch und nur für meine Ohren verständlich, als sie sich zu mir beugte und die Geste eines akzeptierenden Mentors mir zeigte. Erschrocken erstarrte ich in meiner Position und versteifte mich kaum merklich noch mehr. Am liebsten hätte ich ihr nun eine bissige Bemerkung an den Kopf gedonnert, doch meine Stimme war schon vor Monden verstummt und so musste ich diese Bemerkung über mich ergehen lassen. Ich war erstaunt über mich selbst und meine Selbstbeherrschung, es sah momentan nicht danach aus, wie als würde ich gleich einen paranoiden Anfall erleiden. Einen Moment der inneren Zufriedenheit durchlebend, leckte ich meiner Mentorin über die Schulter und funkelte sie anschließend herausfordernd an. Dir werde ich schon noch zeigen, was es heiß meine Mentorin zu sein! Normalerweise wäre ich über diesen Gedanken selbst erschrocken, doch ich fühlte mich selbst befreit. Als ich den Blick zu meinem Bruder schweifen ließ, schaute ich ihn mehr als glücklich an, was auch nicht gelogen war. Dies hatte vielerlei Gründe, doch eigentlich diente es hauptsächlich dem Zweck Apfelblüte sowohl meiner Mutter zu beweisen, dass Seelenjunges und ich noch mehr waren, als nur zwei umständliche Mäuler zu stopfen.